Das Interview wurde im April 2017 für den Wiener Leadership Kongress von Karin Weigl geführt. Hier die Wiedergabe in der ungekürzten Originalfassung.

Mit seinem Leadership-Programm socialmentoring setzt Gerhard Lechner neue Impulse in der Führungskräfteentwicklung. ManagerInnen aus Wirtschaftsunternehmen und öffentlicher Verwaltung begleiten dabei sozial benachteiligte Menschen als MentorInnen. Der Kern dieser Weiterbildung für Führungskräfte ist das Fokussieren auf Beziehungsfähigkeit und Menschenbild.

Wir haben Gerhard Lechner getroffen und ihn gefragt, was dieses Programm von anderen unterscheidet.

Wie kommt man auf die Idee ein Führungskräfteprogramm zu konzipieren, dass sich auch um sozial benachteiligte Menschen kümmert?

Ich wollte als Unternehmer etwas sozial Sinnvolles auf die Beine stellen – nämlich Menschen unterstützen, die’s nicht so gut getroffen haben.
Meine damalige Erkenntnis, dass in einem so reichen Land wie Österreich etwa 1,5 Millionen Menschen in Armutsgefährdung leben, brachte mich auf die Idee, ein System auf die Beine zu stellen, wo Menschen per Hilfe zur Selbsthilfe zu einem existenzsichernden Job geführt werden. Und dieses „Führen“ war für mich die Brücke zu Führungskräften.

Auf der anderen Seite gab’s da noch meine eigenen Erfahrungen als Manager und das Wissen um die Schwachstellen vieler Führungskräfte, die oft gut in Management Skills ausgebildet sind, aber nicht in Beziehungskompetenz. Und somit war mir klar, dass dies die Basis für ein Modell darstellt, das in Form einer gegenseitigen Trainingspartnerschaft beide Seiten weiterentwickelt: wenn eine Führungskraft mit einem finanziell benachteiligten Menschen in einem mehrmonatigen Trainingsprogramm zusammenarbeitet, hat dies für beide Seite enorme Vorteile: Die Führungskraft erweitert ihre Beziehungskompetenzen, sie wird wirksamer im Führen. Die wirtschaftlich benachteiligte Person kommt zu einem selbsterhaltungsfähigen Leben.

Worum geht es bei socialmentoring?

Grundidee und wesentlicher Unterschied zu den vielen möglichen Formen bekannter Leadership Trainings sind 2 Prinzipien:

  1. Die Verfeinerung von Beziehungskompetenz in der Praxis: Grundidee von socialmentoring ist Learning by Doing in geschützter Umgebung mit ExpertInnenbegleitung.
  2. Die Führungskraft trainiert außerhalb ihres Organisationssystems mit einer betriebsfremden Person. Sie kann sich daher öffnen. Einschränkungen durch festgefahrene Beziehungskonstellationen fallen weg. Und es wird das Probehandeln neuer Verhaltensweisen möglich, ohne unerwünschte Interventionen im eigenen Teamgefüge zu riskieren. Die Reflexion des eigenen Handelns und Verhaltens führt zu Erkenntnissen, die als erweiterte Beziehungs- und Führungskompetenzen ins eigene Organisationsystem zurückfließen. Die Begleitung durch Expertinnen und Experten garantiert dabei den geschützten Rahmen.

Warum wird das Gestalten von Beziehungen für die Führungsarbeit in Zukunft ein noch wichtigerer Bestandteil sein, als bisher?

„Führung ist Beziehung.“

Neben der schlichten Feststellung, dass bereits heute mangelhafte Sozial- und Beziehungskompetenz Führung oft ineffektiv sein lässt, stellen v.a. aufkommende Veränderungen Führung vor neue Herausforderungen. Digitalisierung, Globalisierung, ein zunehmend volatiles Umfeld und ein verändertes Bild v.a. jüngerer Menschen, unter welchen Rahmenbedingungen gelungene und sinnstiftende Arbeit stattfinden soll, verändern die Arbeitswelt in entscheidender Form.
Viele Unternehmen sind gerade dabei, das Industriezeitalter mit seiner hierarchischen Einteilung der Belegschaft in Manager und Arbeiter zu verlassen. Die klassische Pyramiden-Organisation des „Command and Control“ mag zuvor sinnvoll und effizient gewesen sein. Doch die heutigen Herausforderungen der Wirtschaftswelt bedingen neue Formen der Unternehmensorganisation und Führung.

Seit einigen Jahren kommen zunehmend mehr erfolgreiche Modelle der Arbeitsorganisation und Führung auf, die entweder flache Hierarchien oder selbstorganisierte eigenständige Einheiten haben, die ihren Unternehmenszweck selbst verantwortlich erfüllen. Die autoritäre Führung wird hier durch einen kooperativen Führungsstil ersetzt, die Einzelentscheidung des Chefs weicht intelligenten Gruppenprozessen mit gemeinsamen Entscheidungen. Co-Kreativität, Flexibilität und sinnerfüllende Arbeit sind die Leitlinien.

Über Unternehmensgrenzen hinaus wird dies noch sichtbarer: effiziente Produktions- und Lieferprozessketten bedingen zunehmend der intelligenten Kooperation von MitarbeiterInnen mehrerer Unternehmen, wo die hierarchische Autorität noch weniger greifen kann und durch die persönliche Autorität von Führungspersonen ersetzt werden muss.

Neben Begeisterungsfähigkeit und Engagement ist die wichtigste Voraussetzung für diese Art des Führens die Beziehungskompetenz.
Produktive Beziehungen aufzubauen erfordert die Fähigkeit der Empathie, der Wertschätzung, der kommunikativen Kompetenz, des Vertrauens, der Authentizität, der Klarheit, der Konfliktfähigkeit.

Beziehungskompetenz gibt der Führungskraft die Fähigkeit, positive, professionelle Beziehungen zu einzelnen MitarbeiterInnen aufzubauen, die Bedürfnisse und Probleme einzelner MitarbeiterInnen zu verstehen und zu beachten und – soweit möglich – darauf einzugehen. Beziehungskompetenz ist die Voraussetzung für Partizipation der MitarbeiterInnen. Die Einbindung der MitarbeiterInnen fördert nicht nur deren Motivation, sondern bietet v.a. die schöpferische Chance der Co-Kreation.

Beziehungskompetenz ist die Grundlage wertschätzender, professioneller Führung. Vor allem fachlich hoch qualifizierten Führungskräften fehlt oftmals die nötige Empathie, MitarbeiterInnen auf Dauer engagiert und motiviert einzubinden. Deren Bedürfnisse und Interessenlagen einzubeziehen, ist die eine Kernfähigkeit von Führung und somit ein wesentlicher Faktor für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen.

Conclusio: Wirksame Führungskräfte beherrschen nicht nur Management Skills. Wirksamkeit im Führen entsteht erst durch das Gestalten produktiver Beziehungen.

Von welchen persönlichen Erkenntnissen haben TeilnehmerInnen – Mentoren und Mentees – im Zuge des Programms berichtet?

Die Führungskräfte bringen – z.B. aus MitarbeiterInnen-Gesprächen mit ihrer/n Vorgesetzten – eigene Entwicklungsziele mit. Darüber hinaus erkennen sie im Laufe der 8-monatigen intensiven Zusammenarbeit mit den Mentees weitere persönliche Herausforderungen in Beziehungsfragen. Diese werden in Supervisionen, Einzel-Coachings und kollegialer Fallberatung reflektiert.

Die Evaluation des Gelernten erfolgt durch das permanent mitgeführte sogenannte „Lerntagebuch“. Die Führungskräfte dokumentieren ihre Einsichten aus der Reflexion. Viele Erkenntnisse sind dabei mehrfach beobachtbar, beispielsweise, dass

  • das Training ein gutes Übungsfeld dafür bietet, Potenziale anderer zu erkennen und sie in Können und letztlich Resultate überzuführen
  • Empathie zu trainieren bedeutet, dass man sich über die eigenen Erfahrungen hinaus öffnen muss für die Andersartigkeit des Gegenübers
  • Vertrauen aufbauen nur auf Basis von Authentizität und Ehrlichkeit geht – und Zeit braucht!
  • Augenhöhe nicht von vornherein da ist, sondern erst erarbeitet werden muss: Zuhören, Hinschauen, Kennen- und verstehen Lernen des anderen ist ein Muss vor der Beurteilung einer konkreten Situation
  • man Potenziale, die das Gegenüber mitbringt, tendenziell unterschätzt
  • die Anwendung von Coaching-Instrumenten in der Führung (beispielsweise offene Fragen zu stellen) enorm wirksam sein kann, um schlummernde Potenziale des Partners aufzuwecken
  • es nicht nur wichtig ist, laufend Feedback zu geben, sondern sich auch aktiv Feedback einzuholen
  • es der gemeinsamen Arbeitsfähigkeit hilft, sich auch auf der Meta-Ebene über die Beziehung auszutauschen
  • die Ressourcen des Gegenübers nur dann einen konstruktiven Beitrag leisten, wenn sie gestärkt werden und nicht durch Zweifel untergraben werden
  • es angesichts der möglichen Schwere der Situation des Gegenübers sehr lehrreich ist, die eigene Grenze zwischen Mitgefühl und Mitleid zu erkennen; und dabei angesichts eigener Betroffenheit nicht die Handlungsfähigkeit zu verlieren
  • die Selbstreflexion dazu hilft, den eigenen Anteil an einer Situation zu sehen, anstatt nur das Verhalten des Gegenübers ändern zu wollen
  • die kollegiale Fallberatung auch über das Training hinaus eine wertvolle Hilfestellung bietet, eigene Herausforderungen unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Mentees berichten v.a. darüber, dass

  • sie größere Klarheit gewinnen über ihre Stärken und Kompetenzen
  • sie ihre beruflichen Zielsetzungen wesentlich präziser formulieren können
  • ihr Selbstvertrauen merklich gestiegen ist als Folge ihrer positiven Erlebnisse während des Prozesses
  • sie nun in der Lage sind, sich selbst besser zu vermarkten, weil sie gelernt haben, ihre Fähigkeiten und vergangenen Erfolge klar darzustellen
  • sie in ersten durchgeführten Bewerbungsprozessen wichtige Erfahrungen gesammelt haben
  • sie die Bedeutung eines eigenen Beziehungsnetzwerks erkannt haben und dass Beziehungen aufbauen nicht nur Nehmen, sondern v.a. auch Geben bedeutet.

In einzelnen Fällen gelang es Mentees bereits während des Programms, ihren Wunschjob zu erhalten. In anderen Fällen haben sich Mentees zu einer Form der Professionalität entwickelt, die sie in die Lage versetzte, selbstständig ihre Weiterentwicklung voranzutreiben.
Interessant war auch das Beispiel einer Mentee, die erst durch den Wechsel zu ihrem vermeintlichen Wunschjob erkannte, dass ihr vorheriger Job Qualitäten bot, die sie davor nicht sah – und sie deshalb in ihren alten Job (unter etwas verbesserten Rahmenbedingungen) zurückkehrte.

Was ist die Mission von socialmentoring?

Wir glauben daran, dass Organisationen/Unternehmen mehr und mehr ihre Gestaltungskraft für das Wohl aller Menschen nutzen. Folglich glauben wir, dass sich der Social-Impact-Gedanke immer stärker in der DNA von Organisationen verankern wird.

Wir sehen, dass neue Modelle von Struktur, Führung und sozialer Kompetenz in unserer komplexen Welt gefragt sind: Flexibilität, Selbstverantwortung, intelligente Gruppenprozesse und kooperative Führungsstile prägen die neue Arbeitswelt der Mitverantwortung.
Erfolgreiche Organisationen/Unternehmen sorgen daher für entsprechende Kompetenzen bei Führungskraft und MitarbeiterIn.

Diese Veränderung gemeinsam mit Organisationen/Unternehmen zu gestalten, ist unser Ziel.

Und wir tun das auf Basis unserer Mission:
Führungs- und Beziehungskompetenzen auf nachhaltigen Wegen trainieren. Armutsgefährdung reduzieren. Mit Unternehmensmodellen Brücken bauen zwischen Organisationen und Gesellschaft. Zum beiderseitigen Nutzen.

You have Successfully Subscribed!